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Plattformen verändern die Kundenbeziehungen

Amazon, fluege.de und andere Plattformen sind aus dem E-Commerce nicht mehr wegzudenken. Disruptiv verändern sie die Kundenbeziehung: Der eigentliche Dienstleister wird zum Ausführenden eines umfassenden Angebotes des Plattformbetreibers.

Für das Gesundheitswesen steht diese Entwicklung erst am Anfang. Aber Amazon & Co. arbeiten mit Hochdruck an der Markterschließung im B2C und B2B-Bereich. Dann gibt es vielleicht die Hüft-OP mit Reha demnächst bei einem Plattformanbieter? Was etwas utopisch klingt, wird inzwischen von Krankenhausmanagern ernsthaft diskutiert: Können sich demnächst Patienten bei Wahl-Leistungen die einzelnen Maßnahmen und zu verwendende Materialien– bis hin zum Implantat – einfach online „zusammenbuchen“?

Das Krankenhaus würde dadurch nur noch Dienstleister für die Durchführung der OP und später für die Nachbehandlung sein. Ein Plattformanbieter würde unterschiedliche, transparent bewertete Einzelleistungen diverser, ggfs. auch branchenfremder, Dienstleister zu einem aus Kundensicht individualisierten Gesamtpaket kombinieren. Grundsätzlich wäre solch ein Vorhaben technisch schon heute mittels der verfügbaren Bausteine für Plattformangebote umsetzbar. Nur das Geschäftsmodell wurde noch nicht gefunden.

Plattformbetreiber vermitteln

Die Wertschöpfung des Plattformbetreibers läge dabei in der oben genannten Kombinationsleistung. Voraussetzung dafür wäre, dass sich das Geschäftsmodell und das Selbstverständnis von Krankenhäusern (disruptiv) verändern müsste. Denn Plattformbetreiber bieten Vermittlungsleistungen an, treten aber nach außen wie ein eigentlicher Dienstleister auf. Es entsteht eine virtuelle Klinik oder Gesundheitszentrum, ohne einen einzigen behandelnden Arzt, ohne ein Bett oder eine Diagnostik.

In anderen, teilweise auch hoch regulierten Branchen sind diese Entwicklungen schon spürbar geworden: Uber hat kein einziges Fahrzeug und setzt der Taxibranche zu, Airbnb macht den Hotels und mit ihren Gewerbeauflagen Konkurrenz und ist für Vermieter attraktiver als eine dauerhafte Wohnungsvermietung.

Erste Anzeichen für einen Wandel

Und auch in der Medizin gibt es erste Anzeichen für diesen Wandel: z.B. durch die elektronische Patientenakte, bei Online-Sprechstunden oder der Terminvereinbarung bei Ärzten über das Internet. Die Portabilität der eigenen Gesundheits- und Krankheitsdaten macht den behandelnden Dienstleister austauschbarer. Dies bedeutet, dass der Patient zum „echten“ Kunden wird, da die Hürden eines möglichen Dienstleisterwechsels sinken. Wer seine Daten mitnehmen kann, wer sich seine Dienstleister anhand von Kundenbewertungen auswählt und sich auch Ärzte, Therapeuten, Behandlungsmethoden und ergänzende Gesundheitsleistungen selbst zusammenstellen kann, gewinnt eine hohe Autonomie. Für einen Notfall gilt das natürlich nicht. Aber bei der Nachbehandlung und der Reha oder auch bei der Prävention können Patienten bzw. Angehörige eigenständiger und „selbstbewusster“ wählen. Das kann man als Gefahr oder als Chance sehen.

Chancen

Die Chancen liegen für Gesundheitsdienstleister darin, die virtuellen Prozesse mit den analogen Dienstleistungen eines Akteures im Gesundheitswesen zu verbinden. Nicht mehr allein die Zahl der einzelnen Behandlungsfälle wird entscheidend sein, sondern auch die Zahl der Kunden, die über das Plattformangebot permanent betreut und mit diversen, auch im weiteren Sinne umfassenden Gesundheitsdienstleistungen versorgt werden. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Krankenhaus nicht mehr alle Behandlungen anbieten wird. Es wird eigene Schwerpunkte als Dienstleister setzen und zugleich andere Kompetenzpartner für weitergehende Angebote einbinden müssen. Dies gilt auch für die überregionale Präsenz. Denn für Wahl-Leistungen sind viele Patienten reisebereit, es bedarf dann aber eines funktionierenden Netzwerkes von Dienstleistern für die anschließenden Reha- und Behandlungsmaßnahmen am Wohnort.

Der umfassende Blick auf den Kunden ermöglicht zudem die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Gerade im s.g. zweiten Gesundheitsmarkt liegen noch Potenziale, die erschlossen werden können. Ein Beispiel ist die Verbindung der orthopädischen Betreuung von Läufern, dem individuellen 3-D-Druck der mit Wearables ausgestatteten Laufschuhe sowie einer regelmäßigen sportmedizinischen Datenauswertung. Die Schuhe melden verschleißbedingte Belastungsänderungen direkt an den Hersteller, der dann automatisiert neue Laufschuhe zuliefert. Der Orthopäde kann zugleich nachvollziehen, ob sich anhand von Belastungsänderungen beispielsweise Fehlhaltungen erkennen lassen. Einige Sanitätshäuser testen solche Verfahren bereits, die aufgrund der Kaufkraft ambitionierter (Freizeit-)Läufer hochinteressant sind.

Daten als „Ware“

Der Zugang zum hochregulierten ersten Gesundheitsmarkt wird für rein virtuelle Plattformen nicht einfach, aber mit ausreichend Investorenkapital ausgestattet, nicht unmöglich sein. Dies macht aber auch deutlich, dass es eine zweite „Ware“ neben den abrechenbaren Fällen gibt: die Daten der Patienten, die strukturiert ausgewertet, mehr wert sind, als manche Fallpauschale. Dafür muss dann noch nicht einmal ein Bett vorgehalten werden.

Damit Plattformdienstleister erfolgreich sind, müssen passende Angebote „gefunden“ und eine eigene Marke entwickelt werden. Der dafür notwendige Marketingaufwand ist erheblich und übersteigt die Kosten des technischen Betriebs mehrfach. Umfassendes Marketing mit allen Mitteln und auf allen Kanälen ist für viele Gesundheitsdienstleister jedoch echtes „Neuland“.

Hinter einem erfolgreichen Plattformprojekt steckt viel Know-how: in Sachen Technik, Geschäftsmodell, Prozessmanagement, Marketing und Vertrieb. Ein einzelnes Krankenhaus bekommt das sicherlich nicht hin. Ein Krankenhausverbund schon eher. Aber: Oft genug kommen die wirklich disruptiven Angebote von Branchenfremden. Statt eines eigenen Plattformangebotes (make) kann auch die Zusammenarbeit mit einem solchen neuen Anbieter (buy) ein Weg sein, die Chancen durch Plattformbetrieb zu nutzen.

 

Thomas Eisenreich
Geschäftsbereichsleiter Ökonomie und stellv. Geschäftsführer
Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V.- VdDD
Invalidenstraße 29
10115 Berlin

 

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