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Robotik in der Pflege: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der Einsatz von Robotik in der Pflege ist ein kontrovers diskutiertes Thema, bei dem die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit häufig größer ist als sie im ersten Moment erscheint.

Laut einer aktuellen Umfrage der Techniker Krankenkasse können sich 58% der Deutschen vorstellen, sich bei körperlichen Einschränkungen im Pflegefall von einem Roboter unterstützen zu lassen (vgl. Techniker Krankenkasse 2018). Dies mag ein wenig überraschen, da zwar die Diskussion um die Robotik in der Pflege sehr breit, die Durchdringung in der Praxis dagegen sehr gering ist (vgl. Daum 2017).

Fehlende Voraussetzungen

Obwohl es bereits erste erfolgreiche Anwendungen in den Bereichen Transport und Service, emotionaler Robotik sowie Telepräsenz gibt, bleibt der technische Entwicklungsstand weit hinter den Erwartungen an einen, die Pflegekraft vollständig ersetzenden, nie müde werdenden und für die perfekte Versorgung konzipierten Roboter zur Lösung der Pflegekrise weit zurück. Dies liegt insbesondere daran, dass derzeit kaum marktreife Produkte verfügbar (vgl. Weber-Fiori et al. 2017) und die wenigen ausgereiften Systeme nicht universell einsetzbar sind, sondern ein sehr beschränktes Aufgabenfeld aufweisen.

Ferner erfährt Technik im Berufsfeld der Pflege generell kaum Akzeptanz (vgl. u.a. BauA 2015). Auch aus wissenschaftlicher Sicht steht das Thema Robotik in der Pflege erst am Anfang. Zwar gibt es erste empirische Befunde zu Voraussetzungen und Wirkung solcher Systeme auf Pflegekräfte und Patienten, diese sind aber meist beschränkt auf bestimmte Anwendungen und häufig nur unter Laborbedingungen getestet.

Unabhängig vom technischen Reifegrad fehlt es zudem an einem Konsens über das, was Technik in der Pflege leisten soll und darf sowie an klaren (arbeits-) rechtlichen Vorgaben und juristischen Parametern zum Einsatz von robotischen Systemen in der Pflege. Diese müssen demnach nicht nur zuverlässig und robust sein, sondern auch bedarfsgerecht hinsichtlich der Bedürfnisse von Patienten und Pflegeheimbewohnern und kompatibel zu bestehenden Prozessen in Pflegeeinrichtungen. Derzeit überlassen die Einrichtungen allzu oft Technikern die Deutungshoheit über die Weiterentwicklung der Systeme und somit über deren Einsatzspektrum, was die Diskrepanz zwischen Technik und der von Interaktion, Beziehungen und der Aushandlung von Bedarfslagen geprägten Pflege weiter fördert (vgl. BauA 2015).

Finanzierungsfrage

Für Träger von Pflegeeinrichtungen bleibt zudem die Frage der Re-Finanzierung der teuren Geräte und der damit verbundenen notwendigen Anpassungen in den Einrichtungen (vgl. Vilain und Kirchhoff-Kestel 2018). Ohne nachhaltige Finanzierungsmodelle und entsprechende Marktstrategien der Anbieter ist eine Durchdringung in einem unter chronischem Geldmangel leidenden System kaum möglich. Wie auch bei anderen Technologien im Gesundheits- und Sozialbereich sind zur wirtschaftlich tragfähigen Umsetzung von Robotik in der Pflege mehrdimensionale Wertschöpfungsketten sowie eine grundlegende Anpassung von Arbeitsprozessen und Managementlogiken notwendig (vgl. Vilain und Heuberger et al. 2016). Die Branche selbst ist derzeit mitnichten auf eine solch große Veränderung vorbereitet. Es bleibt abzuwarten, ob der sich weiter verschlechternde Fachkräftemangel als Katalysator dient und die Pflege noch die Kraft für echte Veränderungen aufbringen kann.

Insgesamt scheint die Euphorie gegenüber robotischen Systemen in der Pflege als eher unangebracht. Zwar kann die Digitalisierung in der Optimierung einzelner Prozesse und in der Vernetzung unterschiedlichster Akteure im Gesundheitswesen deutliche Vorteile für Patienten und Fachkräfte bieten (vgl. Heuberger und Vilain 2017).

KI und Robotik

Der hohe Grad an Individualisierung der Pflege lässt sich allerdings nicht durch standardisierte Parameter technischer Systeme abbilden (vgl. Meißner 2017). Professionelles pflegerisches Handeln ist zu komplex, um eins zu eins von Maschinen übernommen werden zu können. Der zukünftige Einsatz von Robotik in der Pflege wird daher sehr stark an die Entwicklung einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz (AKI) auf menschlichem Niveau gekoppelt sein. Gelingt dies, werden selbst komplexe pflegerische Handlungen durch Roboter erledigt werden können. Gelingt dies nicht, reduzieren sich die Anwendungsfelder der Robotik auf klar strukturierte und standardisierte Aufgabenfelder. Da führende Experten der KI-Entwicklung frühestens in 50 bis 100 Jahren einen entsprechenden Durchbruch hinsichtlich der AKI erwarten (vgl. Tegmark 2017), ist auch nicht davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren universell pflegende Roboter das Bild in stationären Pflegeeinrichtungen prägen werden.

 

Dr. Matthias Heuberger und Prof. Dr. Michael Vilain
Institut für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IZGS) der Evangelischen Hochschule Darmstadt
Zweifalltorweg 12
64293 Darmstadt
www.izgs.de
matthias.heuberger@eh-darmstadt.de

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hg.) (2015): Intelligente Technik in der beruflichen Pflege. Von den Chancen und Risiken einer Pflege 4.0. Dortmund.
Daum, Mario (2017): Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland. Aktuelle Trends und ihre Folgewirkungen auf Arbeitsorganisation, Beschäftigung und Qualifizierung.
Heuberger, Matthias; Vilain, Michael (2018): Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung des Medikamentenmanagements in stationären Pflegeeinrichtungen. In: Krammer, Sandra; Swoboda, Walter; Pfannstiel, Mario (Hrsg.): Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen III. Springer-Verlag, Wiesbaden, 2018, S. 15-32.
Meißner, Anne (2017): Technisierung der professionellen Pflege. Einfluss. Wirkung. Veränderung. In: Tim Hagemann (Hg.): Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz: Nomos, S. 153–172.
Techniker Krankenkasse (2018): TK-Meinungsplus Pflege. So steht Deutschland zur Pflege. Techniker Krankenkasse, Berlin.
Tegmark, Max (2017): Leben 3.0 – Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz. Süddeutsche Zeitung GmbH, München.
Vilain, Michael; Heuberger, Matthias; Wegner, Sebastian (2016): Entwicklung hybrider Geschäftsmodelle zur Stärkung innovativer ambienter Lebensstrukturen im Alter – Das Projekt ENGESTINALA. In: VDE (Hrsg.): Zukunft Lebensräume: Gesundheit, Selbstständigkeit und Komfort im demografischen Wandel Konzepte und Technologien für die Wohnungs-, Immobilien-, Gesundheits- und Pflegewirtschaft. VDE Verlag, Berlin.
Vilain, Michael; Kirchhoff-Kestel, Susanne (2018): Digitale Herausforderungen in der Freien Wohlfahrtspflege. In: Verbands-Management. 44. Jahrgang, Ausgabe 2 (2018). Verbandsmanagement Institut, Universität Freiburg/CH, S. 20-30.
Weber-Fiori, Barbara; Stähle, Benjamin; Pfiffner, Steffen; Reiner, Benjamin; Ertel, Wolfgang; Winter, Maik H.-J. (2017): Marvin, ein Assistenzroboter für Menschen mit körperlicher Behinderung im praktischen Einsatz. In: Mario A. Pfannstiel, Sandra Krammer und Walter Swoboda (Hg.): Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen III. Wiesbaden: Springer, S. 269–285.

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